Kommentar: Digitalisierung first, Finanzierung last

Das Onlinezugangsgesetz kommt nicht voran. Wie Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner die Modernisierung ausbremst. Ein Kommentar von Tim Gerber.

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Kleingarten-Schild "Neuland e.V."

(Bild: Foto: Keywan Tonekaboni / Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tim Gerber

Seit Ende März liegt das Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung auf Eis. Das sogenannte OZG 2.0, eines der wichtigsten Modernisierungsvorhaben der Ampel-Koalition, kommt nicht vom Fleck, weil die unionsgeführten Bundesländer es im Bundesrat abgelehnt haben. Die Bundesregierung hat daraufhin den Vermittlungsausschuss angerufen.

Ein Kommentar von Tim Gerber

Tim Gerber ist gelernter Theaterbeleuchter und Beleuchtungsmeister; Jura-Studium in Leipzig, seit 2001 c't-Redakteur. Dort anfangs für Drucker zuständig, aktuell für Programmierung, Löten und Basteln mit Elektronik sowie für Verbraucherthemen in der Rubrik "Vorsicht, Kunde".

Einer der maßgeblichen Streitpunkte zwischen dem Bund und den Ländern ist demnach die Finanzierung der Projekte. Dazu gehört das Portal für die Bund-ID, welches das Bundesinnenministerium zu einer zentralen Plattform für Bürger und Unternehmen und ihre Kommunikation mit Behörden aller Ebenen von den Kommunen bis zu Bund ausbauen will. Auch der elektronische Rechtsverkehr, die Schriftform ersetzende Übermittlung elektronischer Dokumente, soll darüber künftig möglich sein. Derzeit läuft der Pilotbetrieb, doch noch gibt es diverse Kinderkrankheiten.

Die innerhalb der Bundesregierung fachlich zuständigen Ministerien wie das Innenressort von Bundesministerin Nancy Faeser (SPD) beklagen seit Langem, dass ihnen schon im aktuellen Haushalt 2024 die Mittel fehlen, um diese Projekte voranzutreiben. Anstatt an Konzepten zu arbeiten, das fehlende Geld für derartige Zukunftsinvestitionen und die dringend notwendige Modernisierung der öffentlichen Verwaltung voranzutreiben, stehen Lindner und seine Partei auf der Bremse. Anstatt die Schuldenbremse zu Gunsten von solch notwendigen Investitionen zu modernisieren oder wenigstens kurzzeitig auszusetzen, wollen die Liberalen gar noch Steuern senken und mithin weitere Löcher in den ohnehin klammen Haushalt reißen. Das für die Aufstellung des Bundeshaushalts federführende Ministerium für Finanzen trägt das Mantra der Schuldenbremse so eifrig voran wie die Partei seines Ministers. Aber ohne Geld geht nichts. Es ist sinnlos, der Wirtschaft weitere Steuererleichterungen zu versprechen, wenn sie sich stattdessen weiter mit einer zähen Analog-Verwaltung herumschlagen muss, weil für die Modernisierung das Geld fehlt.

Plakat mit FDP-Vorsitzendem Christian Lindner aus dem Bundestagswahlkampf 2021. Wie die Digitalisierung der Verwaltung finanziert werden soll, kann der inzwischen zum Bundesfinanzminister aufgestiegene Politiker bis heute nicht beantworten. Seiner Partei und seiner Behörde fehlt dazu jedes Konzept.

(Bild: FDP)

Mit ihrem vom Mantra der Steuersenkung und Haushaltssparsamkeit getragenen Konzept will die FDP angeblich die Wirtschaft stärken. Einen Plan, wie die dafür notwendige Digitalisierung finanziert werden soll, hat weder Lindners Partei noch das von ihm geführte Finanzressort.

Einen Plan für konkrete Verbesserungen scheinen weder Lindners Partei noch die von ihm geführte Behörde zu haben. Anfragen von c’t nach dem Inhalt des groß angekündigten Leitantrages ihres Bundesvorstandes für den Parteitag am kommenden Wochenende zum Thema Digitalisierung lässt Parteisprecher Michael Lindner schlicht unbeantwortet. Wenn es konkret wird, hat seine Partei nichts mitzuteilen. Der aktuelle Beitrag zum so genannten 12-Punkte-Plan Lindners auf der Webseite der Partei mit dem originellen Titel "Jetzt oder now" enthält zu Fragen der Digitalisierung und ihrer weiteren Finanzierung kein einziges Wort. Stattdessen will die FDP das Land mit so ollen Kamellen wie weiterem Sozialabbau, geringeren Renten durch längere Lebensarbeitszeit und dergleichen aus der neoliberalen Mottenkiste nach vorn bringen. Die damit erzielbaren Einsparungen werden das Geld für die notwendigen Investitionen in die digitale Infrastruktur der Verwaltungen jedoch nicht ansatzweise erbringen, zumal man sie ja mit gleichzeitigen Steuersenkungen wieder ausgeben will.

Nicht viel besser sieht es bei der von Lindner geführten Behörde aus. Auf die Frage, ob sie eine Digitalisierungsstrategie für ihren Geschäftsbereich habe und ob eine solche mit anderen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt sei, erhält man ebenfalls keine Antwort. Die Auskunft, zu der Lindners Behörde wie jede andere aufgrund der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit verfassungsrechtlich verpflichtet ist, gibt Lindner dann vor Gericht über seinen Anwalt: Man halte eine solche Strategie nicht für notwendig und deshalb gebe es auch keine.

Sein Ministerium verweigert bis heute gegenüber c’t auch jede Auskunft darüber, wie es mit der Aufstellung des Haushaltes für 2025 im Hinblick auf Digitalisierung weitergehen soll. Gründe dafür nennt seine Behörde nicht und auch Lindners Anwalt schweigt sich in dem auf Auskunft gerichteten Verfahren (Verwaltungsgericht Berlin, VG 27 L 72/24) dazu aus. Vielmehr stellt der promovierte Fachanwalt für Verwaltungsrecht in einem Schreiben im Auftrag von Lindners Behörde an das Gericht, das c’t vorliegt, jeglichen Zusammenhang zwischen einer Strategie für die Digitalisierung seiner Behörden und dem Gesetzgebungsverfahren zum OZG 2.0 infrage.

Was es mit dem von Lindner stets proklamierten Bürokratieabbau in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich auf sich hat, lässt sich am Beispiel des Bundesanzeiger-Verlages studieren. Das Unternehmen ist von Lindners Ministerium mit hoheitlichen Befugnissen zur Führung des Transparenzregisters beliehen und damit einer Behörde gleichgestellt. In das Register, das der Bekämpfung der Geldwäsche dient, müssen sich alle Unternehmen und Organisationen eintragen lassen, die ein Bankkonto eröffnen wollen. Darunter fallen auch kleine Vereine, Sportvereine sowie kleine Unternehmen.

Wer seinen Verein pflichtgemäß anmelden will, muss eine Ausweiskopie hochladen. Beabsichtigt er nach erfolgter Registrierung die eigenen Daten einzusehen oder gar eine (kostenpflichtige) Bestätigung über die eigenen Daten zur Vorlage bei der Bank zu bekommen, ist ein Videoidentifikationsverfahren vorgesehen. Eine Identifizierung per Bund-ID sieht das Register nicht vor. Auch ein elektronisches Behördenpostfach, das jede Behörde den Gerichten eröffnen muss, hält man beim Bundesanzeiger für verzichtbar – mit dem Segen des Ministeriums.

Als ein Allheilmittel für die Digitalisierung gilt den Finanzbehörden der Länder wie auch des Bundes bislang das Portal Elster. In Lindners Behörde ist man dann aber nicht einmal so konsequent, es auch für das Transparenzregister zu nutzen, wo doch inzwischen auch jedes noch so kleine Unternehmen einen Elster-Zugang hat, die meisten Bürger seit der Grundsteuerreform ohnehin. Ein Konzept, eine möglichst einheitliche Strategie hält man in Lindners Behörde ja für überflüssig.

Alles in allem muss man feststellen, dass Christian Lindner und seine Partei zwar viel Wind um die Digitalisierung machen, sich gerne als modern und technikaffin darstellen, aber in der harten Praxis wenig Sachverstand und ehrliche Arbeit an den immensen Herausforderungen zeigen.

(tig)